Sprache

Information

Verbot der Gebärdensprache: ein dunkles Kapitel

Bis Ende der 1980er-Jahre war die Gebärdensprache in Schweizer Schulen verboten, Kinder wurden unter Strafe zum Sprechen gezwungen. Dieses dunkle Kapitel ist vorüber, seine Aufarbeitung hat aber erst begonnen.

Die Sprecherziehung hatte in den Gehörlosenschulen oberste Priorität.

Ein Betroffener berichtet, dass er in der Schule Röhren aus Karton um die Arme tragen musste. Auch hinter dem Rücken zusammengebundene Hände galten als geeignete Massnahme, um gehörlose Kinder vom Gebärden abzuhalten.

Gewalt im Namen der Pädagogik

Wer dennoch gebärdete, wurde bestraft. Betroffene berichten von Körperstrafen, aber auch von psychischer Gewalt, durch sozialen Ausschluss oder Demütigung. Ziel dieser Übergriffe war es, die gehörlosen Kinder zum Sprechen zu bringen. Die Pädagog*innen folgten einer Vorstellung aus dem 17. Jahrhundert, wonach die Gebärdensprache gehörlose Kinder vom Sprechen abhält und ihnen die Chance raubt, nützliche Mitglieder der Gesellschaft zu werden – beispielsweise als untergeordnete Hilfskräfte. Der Sprecherziehung wurde alles untergeordnet. Die Wissensvermittlung kam zu kurz und viele gehörlose Kinder verliessen die Schule praktisch ohne Bildung.

Weitreichende Folgen

Die Haltung der Gehörlosenschulen hatte weitreichende Folgen: Durch die systematische Herabsetzung wuchsen gehörlose Menschen im Glauben auf, ihre Sprache und sie selbst seien weniger wert. Und weil diese Haltung durch pädagogische Autoritäten vermittelt wurde, war sie auch in der Bevölkerung weit verbreitet. Gehörlose Menschen wurden als «Taubstumme» marginalisiert, ihre Sprache als «Affensprache» verhöhnt. Die Folge war eine gesellschaftlich anerkannte Diskriminierung von gehörlosen Menschen. Das Recht auf Selbstbestimmung wurde ihnen verwehrt. Und daraus leitete die Gesellschaft ab, gehörlose Menschen hätten gar nicht die Fähigkeit zur Selbstbestimmung.

Unrecht endlich anerkennen

In einer weltweiten Emanzipationsbewegung haben gehörlose Menschen dieses Recht in den 1980er-Jahren zurückgeholt. Sie forderten Selbstbestimmung, Chancengleichheit und vor allem die Anerkennung der Gebärdensprache. Seither hat sich in der Schweiz vieles verbessert. Die Gleichstellung ist aber noch längst nicht erreicht. Ein wichtiger Punkt auf dem Weg dahin ist die Aufarbeitung des erlittenen Unrechts. Bis heute hat sich die offizielle Schweiz nicht für die Vorgänge in den Gehörlosenschulen entschuldigt, teilweise wurde sogar bestritten, dass es ein systematisches Verbot der Gebärdensprache gab. Inzwischen ist die Unterdrückung der Gebärdensprache wissenschaftlich belegt. Studien haben auch gezeigt, dass dieses dunkle Kapitel sich bis heute negativ auf das Leben gehörloser Menschen auswirkt. Darum ist es wichtig, dass das erlittene Unrecht gesellschaftlich anerkannt wird. Die verheerenden Auswirkungen des Gebärdensprachverbots müssen benannt werden, und wir müssen dafür sorgen, dass gehörlose und hörbehinderte Kinder ihr Recht auf Bildung ohne Einschränkungen wahrnehmen können.

Forschung zur Unterdrückung der Gebärdensprache

Forschungsprojekt „Verbot der Gebärdensprache in der Schweiz“ (2017): Wissenschaftler*innen des Departements Geschichte der Universität Basel untersuchten die Situation der Gehörlosen und der Gebärdensprache in der Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert.

Buch „Aus erster Hand“ (2020): Eine erweiterte Studie über das Verbot der Gebärdensprachen in der Schweiz in Buchform. Anhand von Archivdokumenten und Berichten von Betroffenen wird die Gehörlosenpädagogik in der Schweiz untersucht und der Zusammenhang zur Stellung der Gehörlosen und der Gebärdensprache aufgezeigt.

Buch «Aus erster Hand» (sgb-fss.ch)

Publiziert am 30. März 2021