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Frühförderung: Stark mit Gebärdensprache

90 Prozent der Kinder mit Hörbehinderung werden in eine hörende Familie geboren. Ihre Muttersprache ist eine andere, sie kommunizieren visuell. Wenn diese Ressource genutzt wird, ist sie ein Gewinn für die ganze Familie.

Für Eltern kann es ein Schock sein, wenn ihr vermeintlich gesundes Baby nach der Geburt die Diagnose «hörgeschädigt» erhält. Weil die meisten Eltern keine Erfahrungen mit diesem Thema haben, verlassen sich bei ihren Entscheidungen auf die Beratung von Fachleuten. Umso wichtiger ist es, dass diese Beratung umfassend ist und alle Möglichkeiten aufzeigt.  

In der Schweiz bleibt die Beratung meist im medizinischen Umfeld.

Einseitig informiert

Artikel 26 der UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen fordert Frühberatungen, welche die optimale geistige und soziale Entwicklung der Kinder zum Ziel haben. Doch in der Schweiz fehlen umfassende Frühberatungen bei Hörbehinderung weitgehend. Meist bleibt die Beratung im medizinischen Umfeld. Der Fokus liegt auf der «Reparatur» des Hörsinns, mit dem Ziel, ihn so weit wie möglich technisch zu ersetzen. Zwar können dank der modernen Technik viele Kinder mit Hörbehinderung gesprochene Sprache teilweise verstehen lernen, doch dieser Prozess braucht Zeit. Und es geht vergessen, dass die Kinder mit einem funktionierenden Sprachzentrum geboren wurden, welches sich sofort entwickeln will. 

Der Spracherwerb in den ersten vier Lebensjahren ist entscheidend.

Keine Zeit verlieren

Steffi Zbären ist Mutter einer gehörlosen Tochter. Sie erinnert sich an die Zeit nach Jennys Diagnose: «Es war ein Schock. Als wir uns dann für ein Cochlea-Implantat entschieden hatten, wussten wir, dass es bis zum gegenseitigen Verstehen noch lange dauern konnte.» Familie Zbären meldet sich für einen Heimkurs in Gebärdensprache des Schweizerischen Gehörlosenbundes an, um möglichst rasch mit Jenny kommunizieren zu können. Wie ein Schwamm saugt das kleine Mädchen die visuelle Sprache auf und überholt schon bald ihre Eltern. «Jenny gebärdet gerne und ihrer Mimik ist unglaublich», sagt Steffi Zbären: «Und in Kombination mit dem Cochlea-Implantat hilft die Gebärdensprache Jenny, die gesprochene Sprache zu lernen.»

Zweisprachigkeit bringt Sicherheit

Diese Beobachtung ist wissenschaftlich bestätigt. Gesprochene Sprache und Gebärdensprache behindern sich nicht etwa gegenseitig, sondern können sich ergänzen und unterstützen. Dr. Claudia Becker, Dozentin für Gebärdensprache und Audiopädagogik in Berlin, sagt: «Der Spracherwerb in den ersten vier Lebensjahren ist entscheidend für die gesamte Entwicklung des Kindes, und die zweisprachige Frühförderung bietet ein Sicherheitsnetz für den frühen Spracherwerb. Das Kind kann so je nach individueller Voraussetzung in mindestens einer der beiden Sprachen altersgerechte Kompetenzen entwickeln.» Im Fachjargon heisst das gleichzeitige Lernen von Gebärdensprache und gesprochener Sprache «Bilingualität». Sie ist der Schlüssel zu einer optimalen sprachlichen und emotionalen Entwicklung von Kindern mit Hörbehinderung.

In Kombination mit dem Cochlea-Implantat hilft die Gebärdensprache unserer Tochter, die gesprochene Sprache zu lernen.

Steffi Zbären

Unterstützung für Familien

Eltern dürfen die Rechte ihrer hörbehinderten Kinder einfordern. Die bilinguale Frühförderung in der Familie ist nach dem Sonderpädagogik-Konkordat Sache der Kantone. Hörbehinderte Kinder und ihre Eltern haben einen Anspruch darauf, dass entsprechende Angebote bereitgestellt und die Kosten dafür übernommen werden. Für die Durchsetzung Ihrer Rechte können Sie auf die kostenlose Unterstützung des Rechtsdienstes des Schweizerischen Gehörlosenbundes zählen.

Kontaktadressen:

  • Schweizerische Vereinigung der Eltern hörgeschädigter Kinder, www.svehk.ch
  • Fachstelle Bilinguale Bildung für Gehörlose und Hörbehinderte Graubünden, www.fsb-gr.ch

Publiziert am 18. März 2021