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«Wir haben Facebook erfunden – fast.»

Michael «Mick» Heuberger hat 1997/98 der ersten Webseite des Schweizerischen Gehörlosenbundes SGB-FSS ein Update verpasst. Bei seinem Besuch in der alten Heimat kam er auch bei unserer Geschäftsstelle in Zürich Binz vorbei. Wir haben mit ihm vor allem über das Auswandern und die Gehörlosenkultur in Neuseeland gesprochen.

Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS: Du hast DeafZone ins Leben gerufen – was war die Idee dahinter?
Mick Heuberger: Damals gab es noch kein Facebook. Es war die erste Webplattform für gehörlose Menschen, wo der Deafzone Webclan Neuigkeiten gepostet hat und andere mitdiskutieren konnten. Und Fotogalerien sowie Events, was in der Schweiz in den nächsten Monaten abläuft. Manche sagten, es war wie eine frühere Version von Facebook, dass ich eigentlich Facebook erfunden habe, grins. Andere im Webclan, wie z.B. Ale, Ueli, Dano, Emmanuel, Kelvin und Stanko haben auch viel mitgeholfen.
Mit dem Schwarzen Design haben wir der Plattform einen Unterground-Charakter verliehen, wo gehörlose Personen sich schnell wohlfühlten und früh politische Diskussionen ausgelöst wurden. Teilweise waren ein paar extrem, z.B. gegen die Regierung oder Personen welche gegen die Gebärdensprachen waren. Es war aber gut dass wir einen Ventil hatten für einen offenen transparenten Austausch. Die Moderation war eine Herausforderung.
Weil ich ausgewandert bin und Facebook immer beliebter wurde, haben wir es ungefähr 2012 geschlossen. Trotzdem war es eine coole Zeit und wir haben die schweizerische Gehörlosenkultur mitgeprägt.

SGB-FSS: Warum bist du ausgewandert?
Mick: Oh, was ist die stärkste Macht der Welt? Liebe.
In Madrid, während dem Weltkongress für Gehörlose (WFD), in 2007, habe ich die gehörlose Maori Rachel kennen gelernt und wir haben uns verliebt. Dann habe ich mich entschieden nach Neuseeland auszuwandern. Denn das Leben ist zu kurz.

SGB-FSS: Wenn du das Leben in Neuseeland und in der Schweiz vergleichst, was ist gleich, was anders?
Mick: In Neuseeland gibt es mehr ärmere gehörlose Menschen, scheinen mir aber mehr zufrieden und lachen mehr. Anscheinend ist Geld dort weniger wichtig. Wir treffen uns fast wöchentlich, gehen oft in die Ferien zusammen und helfen uns schnell gegenseitig, wenn es Probleme gibt. Zum Beispiel: „Hey, mein Auto ist kaputt. Kannst du schnell rüberkommen und flicken? Du kannst bei uns Abendessen“. Einfach so und unkompliziert. Das sah ich selten in der Schweiz unter gehörlosen Personen. Allerdings, wie gesagt, ist dort die Armut auch ein Problem, vor allem gehörlose Maori sind stark davon betroffen.
Ausserdem haben wir in Auckland einen Deaf Club. Unser eigenes Klubhaus ist etwa 5 Millionen CHF wert, hat einen Sportplatz, eine Bar und auch ein Restaurant – wir treffen uns dort wöchentlich und organisieren viele Events wie Discos, Sportveranstaltungen, Rugby-Spiele schauen, Vorträge, Kinderparties und so weiter. So etwas fehlt in der Schweiz.

SGB-FSS: Mit der Verabschiedung des New Zealand Sign Language Act 2006 durch das neuseeländische Parlament am 6. April 2006 wurde die Neuseeländische Gebärdensprache neben Māori zur zweiten Amtssprache des Landes (die meisten Menschen sprechen zwar Englisch, dies ist aber keine offizielle Sprache Neuseelands). Was hat sich seit der Annahme der Gebärdensprache für gehörlose Personen geändert?
Mick: Mehr Gerechtigkeit vor Gericht, mehr finanzielle Unterstützung vom Staat, mehr Projekte für gehörlose Menschen wie zum Beispiel ein online Gebärdensprach-Lexikon, mehr Gebärdensprachkursteilnehmer (es gab eine Explosion, unterdessen können viele Hörende gebärden, offen auf der Strasse, im Restaurant, einfach so was echt super ist). Gebärdensprache wurde populär. Wir Gehörlose fühlten uns nicht mehr als Minderheit wie vorher.

SGB-FSS: Gibt es kulturelle Unterschiede in der Gehörlosenkultur zwischen Neuseeland und der Schweiz, die dir besonders aufgefallen sind?
Mick: In Neuseeland gibt es keine Höflichkeitsform „Sie“ – alles ist per „Du“ (you), und sind somit direkter, lachen schnell, können aber auch schnell streiten, was eigentlich auch besser ist als mit „zwei Gesichter“ zu kommen. Allerdings ist die Bildung für gehörlose Menschen in Neuseeland im Rückstand, es gibt dort weniger gebildete gehörlose Personen als in der Schweiz.
Was auch interessant ist: das Wort „schwerhörig“ gibt es in Neuseeland nicht. Wir sagen einfach alle sind „Deaf“, völlig egal wieviel du hörst. Hauptsache du kannst gebärden. Wenn nicht, dann bist du einfach nicht „richtig“ Deaf.
Übrigens habe ich mich von der tollen Idee „Kofo“ in der Schweiz inspirieren lassen und es in Neuseeland in einer anderen Form mit gehörlosen Freunden ausprobiert. Wir nannten es „50:50“. Ich merkte, das Ende vom Kofo war immer sehr beliebt, die Fragerunde am Schluss. Dies habe ich in eine Debatte umgewandelt, welche populär wurde. Die gehörlosen Menschen in Neuseeland debattieren und streiten gerne.

SGB-FSS: Was würdest du gehörlosen Menschen mitgeben, die davon träumen, ins Ausland zu gehen oder international zu arbeiten?
Mick: Wenn du jung bist und noch keine Kinder hast, empfehle ich echt mal ins Ausland auszuwandern. Das ist eine grossartige Erfahrung, öffnet die Augen, erweitert die Perspektive und ändert die Sicht auf die Schweiz. Allerdings empfehle ich einen „Anker“ zu haben, eine Person vor Ort zu kennen, die dir helfen kann. Das hilft meist auch die lokale Gebärdensprache schneller zu lernen. Dank meiner Partnerin lernte ich die neuseeländische Gebärdensprache NZSL innerhalb von sechs Monaten. Danach glaubten Fremde ich sei ein Kiwi, kein Schweizer mehr 🙂

SGB-FSS: Mick, danke für deine Zeit und die spannenden Einblicke in dein Leben, deine Erfahrungen und in die Gehörlosenkultur am anderen Ende der Welt.
Alles Gute weiterhin und bis zum nächsten Besuch in der Binz!

Michael „Mick“ Heuberger auf Besuch beim Schweizerischen Gehörlosenbund SGB-FSS – hier im Gespräch mit Ben Jud, Media Relations und Pressesprecher.

Publiziert am 18. Juli 2025